So kommt 5G auf den Lehrplan – Im Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Katrin Temmen

5G in die berufliche Bildung zu bringen, hat viele Aspekte. Das didaktische Fundament liefert im Projekt 5G Lernorte OWL die Universität Paderborn mit den sogenannten Lernszenarien und -situationen. Dabei geht es darum, wie Berufsschülerinnen und -schüler im Unterricht an das Thema herangeführt werden. Wie das funktioniert, erklärt Prof. Dr.-Ing. Katrin Temmen, Fachgruppenleiterin der Technikdidaktik an der Universität Paderborn, im Interview.



Welche Rolle spielen Sie im Projekt?

Bei uns im Fachgebiet Technikdidaktik geht es insbesondere um die Betreuung und das Unterrichten in technischen Ausbildungsberufen. Mit jeder neuen Technologie stellt sich uns die Frage, ob wir zu Beginn bereits einschätzen können, inwiefern diese Technologie einmal Bedeutung für gewisse Ausbildungsgänge haben wird. Auch bei 5G sammeln wir Ideen, wo die Technologie in Zukunft eine Rolle spielen könnte. Daraus leiten wir dann ab, für welche Ausbildungsberufe das relevant sein wird, wo wir jetzt schon Lernsituationen erstellen können und wie diese aussehen können.



Eine Ihrer Kernaufgaben ist die Entwicklung von Lernszenarien für das Lernen mit und für 5G. Woraus besteht so ein Lernszenario?

Ein Lernszenario besteht aus einer Situation, der Auszubildende später im Beruf tatsächlich ausgesetzt sein können. Das könnte etwa sein, dass eine Maschine nicht optimal ausgelastet ist, weil Verschleißteile nicht rechtzeitig oder auch zu früh ausgetauscht wurden. Normalerweise schauen wir auf der Suche nach solchen Situationen in die Unternehmen und untersuchen, was den Auszubildenden aktuell im Berufsalltag passieren könnte.

Mit 5G haben wir die Herausforderung, dass wir in die Zukunft blicken müssen: Auf welche Situation könnten die Auszubildenden treffen? Das finden wir einerseits durch den Blick in die Wirtschaft heraus. Andererseits gehen wir aber auch in Schulklassen der vier beteiligten Berufskollegs, stellen 5G als Technologie vor und fragen die Schülerinnen und Schüler, wo 5G in ihrem Betriebsalltag Anwendung finden könnte. Das machen wir jetzt zum ersten Mal auf diese Weise und wir sind sehr gespannt, was dabei herauskommt.



Ein Lernszenario ist also ein thematischer Einstieg, über den dann eine Unterrichtseinheit aufgezogen werden kann, um die Auszubildenden für Situationen zu sensibilisieren, die ihnen begegnen könnten.

Genau. Das hat zwei didaktische Funktionen: Zum einen die Interessensförderung, weil es nah an der Praxis dran ist, und zum anderen natürlich die Motivation. Die Auszubildenden gehen motiviert an die Lernaufgabe, weil sie ihnen genau so im Job begegnen könnte. Aber das ist nur der Einstieg. Daraus entwickeln wir dann eine Lernsituation, in der die Auszubildenden im schulischen Bereich eine sogenannte „vollständige Handlung“ vollziehen, die sie später im Betrieb bei so einer Aufgabe auch durchgehen würden.

Eine vollständige Handlung besteht aus fünf Schritten. Über diese Schritte hinweg sammeln die Auszubildenden Informationen zum Problem, leiten daraus verschiedene Pläne mit Vor- und Nachteilen ab, entscheiden sich für einen Lösungsweg, führen diesen aus und kontrollieren das Ergebnis. Im letzten Schritt bewerten die Auszubildenden den Prozess dann auf der Metaebene: Was lief gut? Was können wir lernen? Was können wir beim nächsten Mal besser machen? Diese vollständige Handlung wird in den Lernsituationen innerhalb einer Unterrichtseinheit von sechs bis zehn Doppelstunden einmal komplett durchlaufen.



Woran erkennen Sie denn ein gutes Lernszenario bzw. eine gute Lernsituation?

Ein gutes Lernszenario muss in erster Linie realistisch sein und Raum für verschiedene Lösungswege bieten. Eine Lernsituation ist nie etwas, wo man als Lehrkraft eine Musterlösung in der Schublade hat. Die Aufgabe ist immer offen gestellt, sodass es verschiedene Lösungswege gibt, die alle eigene Vor- und Nachteile haben – eine Lösung kann etwa schnell und günstig sein, aber dann ist sie qualitativ nicht so hochwertig. Wenn sie hochwertig und schnell sein soll, kann sie aber nicht günstig sein – hier müssen die Auszubildenden abwägen. Darüber hinaus muss die Lernsituation mit den üblichen, technischen Gegebenheiten der Berufskollegs umsetzbar sein.



Wir haben schon über eine große Herausforderung gesprochen, die Sie vor sich haben, und zwar das 5G eine neue Technologie ist und Anwendungsfälle sich nicht aus der Praxis ergeben, sondern erst in der Theorie gesucht werden müssen. Gibt es noch weitere Herausforderungen, vor denen Sie stehen?

Wir haben uns im Projekt ganz bewusst die Frage gestellt, welche Lernszenarien es gibt, in denen sowohl technische, als auch kaufmännische Berufsbilder über 5G aufeinandertreffen. Wir sind relativ schnell auf Ideen für technische Berufe gekommen, auch für kaufmännische Ausbildungen haben wir recht unkompliziert Anwendungen gefunden. Sich hier aber die Schnittstelle anzusehen, wo beide zusammenkommen, ist durchaus eine Herausforderung – das ist eine zentrale Aufgabe im Projekt.



Das Lernszenario ist gefunden und praxisnah, die Situation bietet Entscheidungsspielräume: Wie kommt das Konzept in den Unterricht?

Nachdem die Szenarien bei uns intern das Peer Review überstanden haben, werden sie testweise in Berufsschulklassen erprobt. Es wird immer Dinge geben, die man nicht berücksichtigt hat, wenn etwa das Szenario doch nicht so motivierend ist, wie man sich das vorgestellt hat. Das kann in der Erprobung dann erkannt und im Anschluss nachgebessert werden.



Die Lehrpläne sind wahrscheinlich eng getaktet, es geht um einen festen Themenfundus, der behandelt werden muss. Eine Lernsituation dauert sechs bis zehn Doppelstunden. Das wirbelt den Lehrplan sicher ganz schön auf. Fehlt dafür an den Berufskollegs nicht die Zeit?

Je nach Ausbildungsgang ist dafür tatsächlich ausreichend Luft in den Plänen vorhanden. Trotzdem ist das ein Punkt, den wir berücksichtigen müssen. Daher lassen wir das, was in den Rahmenlehrplänen vorgegeben ist, in die zu entwickelnden Lernsituationen einfließen. Unsere Szenarien werden keine reinen 5G-Lernsituationen sein, sondern es wird mit 5G gelernt. Eines unserer Ziele ist es, dass Kompetenzen, die in der ursprünglichen Lernsituation erworben werden sollten, mit den 5G-Lernsituationen ähnlich gut abgedeckt werden. So können wir die ursprüngliche Lernsituation aus dem Lehrplan herausheben und durch die neue 5G-Situation ersetzen. Auf diese Weise integrieren wir die Testszenarien möglichst passgenau in den bestehenden Lehrplan.



Das Lernziel bleibt also gleich, das inhaltliche Beispiel ist aber eines, in dem es u.a. um 5G geht. Vielen Dank für das Interview, Frau Temmen!